Direktwahl der Regierung – Ein Überblick

Nachdem erst vor kurzen über die Energievorlagen und das neue eGD abgestimmt wurde, geht es schon bald weiter mit den Abstimmungen im Ländle. Die wahlberechtigten Liechtensteiner:innen können nämlich schon am 25. Februar 2024 über eine Initiative der DpL (Demokraten pro Liechtenstein) zur Direktwahl der Regierung abstimmen.

aha-Jugendreporter Severin

Derzeit wählen die Liechtensteiner:innen alle vier Jahre den Landtag (Legislative/Parlament). Dieser besteht aus 25 Abgeordneten und übt seine Rechte in den regelmässigen Landtagssitzungen aus. Bei jeder Landtagswahl wird auch die liechtensteinische Regierung neu gewählt. Allerdings wählt nicht das Volk die neue Regierung, sondern die gewählten Landtagsabgeordneten. Das Regierungsteam ist jedoch schon vorher bekannt. Im Vorfeld ist zwar meist klar, welcher Landtagsabgeordnete wen in die Regierung wählt, letztlich sind die Abgeordneten aber in ihrer Entscheidung frei.

Wie funktionieren die Landtagswahlen in Liechtenstein?

Für die DpL hat das Volk dabei zu wenig Mitspracherecht und die Regierungswahl findet im „Hinterzimmer“ statt. Aus diesem Grund hat die Partei eine Initiative gestartet, mit dem Ziel, dass das Volk in Zukunft neben dem Landtag auch die Regierung selbst wählen kann. Dies soll zu einer volksnäheren Regierung führen.

Ausgangslage

Grundsätzlich lassen sich zwei grosse Wahlsysteme unterscheiden: das parlamentarische und das präsidentielle System. Während beim parlamentarischen System (Liechtenstein, Schweiz, viele europäische Länder) eine Gewaltenverschränkung herrscht, das heisst, Parlament (Legislative) und Regierung (Exekutive) sind stark miteinander verflochten, herrscht im präsidentiellen System eine Gewaltentrennung. Legislative und Exekutive sind getrennt und unabhängig. Paradebeispiele für ein präsidentielles System sind die USA oder auch Frankreich. Durch die Direktwahl der Regierung würde sich das politische System Liechtensteins in Richtung präsidentielles System bewegen. Einziger Unterschied: In den meisten präsidentiellen Systemen liegt die Macht der „Regierung“ bei einer einzigen Person, dem Präsidenten. Er verfügt über eine sogenannte „Weisungskompetenz“, das heisst, er kann ohne Zögern Anweisungen erteilen. In der liechtensteinischen Regierung wäre der Regierungschef bzw. die Regierungschefin auch bei einer Direktwahl bei allen Entscheidungen auf die Unterstützung von zwei weiteren Regierungsmitgliedern angewiesen (Mehrheitsprinzip). In Europa ist das Präsidialsystem eher unüblich. Anzumerken ist, dass unser Landesfürst auch bei einer Direktwahl der Regierung alle Rechte behalten würde.

Vorschlag

Für die Umsetzung der Direktwahl empfiehlt die DpL nach eingehender Prüfung ein „Drei-Stufen-System“. Dabei schlägt das Volk dem Landtag vier Regierungsräte und eine:n Regierungschef:in vor. Der Landtag prüft dann die Volkswahl und hat die Möglichkeit, Regierungskandidaten abzulehnen. Lehnt er einen oder mehrere Kandidaten ab, kommt es zu Neuwahlen der Gesamtregierung und es Landtags. Schliesslich muss auch der Landesfürst den Kandidaten sein Vertrauen aussprechen; auch er kann Kandidaten ablehnen. Dann muss jedoch nur die betroffene Person ersetzt werden. Wird die Regierung letztendlich von beiden Seiten (Fürst und Parlament) bestätigt, so ist sie für die gesamte nächste Legislaturperiode (4 Jahre) eingesetzt. Durch die Möglichkeit, Kandidaten abzulehnen, soll dem System weiterhin viel Sicherheit und Stabilität gewährleistet werden.

Reaktionen

Im Landtag und in der Regierung stiess die Initiative auf wenig Interesse. Nur die Initianten, die DpL, sind vom neuen Direktwahlsystem überzeugt. Die Mehrheit der Landtags- und Regierungsmitglieder sind der Ansicht, dass im Moment sehr viel Stabilität und ein gutes Zusammenspiel zwischen den einzelnen Gewalten im Land herrscht. Sie sehen demnach kein Handlungsbedarf, im Gegenteil, halten sie es eher für riskant, ein bewährtes System für ein „Experiment“ aufs Spiel zu setzen. Dazu seien zu viele Fragen immer noch ungeklärt. Auch S.D. Erbprinz Alois warnt vor Experimenten in unsicheren Zeiten globaler Krisen. In der Thronrede anlässlich der Landtagseröffnung am 19. Januar 2024 manifestierte er seine Meinung klar und deutlich:

„Ich glaube nicht, dass wir durch eine Volkswahl der Regierung irgendwelche Verbesserungen erzielen, die wir nicht auch anders erreichen könnten. Hingegen sehe ich eine erhebliche Gefahr, dass wir unsere grosse politische Stabilität gefährden.“

Vielleicht sieht er seine Macht in Gefahr, denn auch der Landtag ist der Ansicht, dass die Direktwahl die Stellung der Regierung stärken und die des Landesfürsten und des Landtags schwächen würde. Ein direkt vom Volk gewählter Regierungschef wäre ein neuer, starker Machtfaktor, der das Gleichgewicht im politischen System kippen könnte. Aus Sicht der DpL ist diese Sorge unbegründet. Im Gegenteil, die DpL sieht in der Direktwahl und der damit geschaffenen Distanz zwischen Regierung und Landtag sogar eine Stärkung des Landtags. Er würde die Regierung schneller und deutlicher in die Schranken weisen und sich mehr der volksnahen Sachpolitik zuwenden können.

Erfahrungen mit dem Direktwahlsystem liegen zwar schon vor, sind jedoch auf Liechtenstein eher schwierig übertragbar. In einigen Schweizer Kantonen werden die Abgeordneten direkt vom Volk gewählt. Das funktioniert dort sehr gut. Die Kantone kennen keinen Regierungschef bzw. keine Regierungschefin wie bei uns, und ein Rotationssystem des bzw. der Vorsitzenden sorgt für Stabilität. Ein solches System würde in Liechtenstein nicht eingeführt. Der Regierungschef bzw. die Regierungschefin wäre für die gesamte nächste Legislaturperiode gewählt, es sei denn, Fürst und Landtag würden sich einstimmig gegen ein Regierungsmitglied aussprechen. Der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, wird jedoch nicht vom Volk gewählt.

Was spricht denn nun konkret für die Initiative (JA-Argumente)?

  • Die letzten Abstimmungen haben manchen gezeigt, dass das Volk und die Regierung nicht auf dem gleichen Nenner sind. Durch die Direktwahl könnte eine volksnähere Regierung geschaffen werden, die auch wirklich die Meinung des Volks vertritt.
  • Mit der Möglichkeit zur Ablehnung der vom Volk gewählten Kandidaten ist die Stabilität und auch Sicherheit des Systems weiterhin gegeben.
  • Landesfürst und Landtag behalten alle ihre Rechte.
  • Auch während der Legislaturperiode kann in Abstimmung zwischen Landtag und Landesfürst einzelnen Regierungsmitgliedern das Vertrauen entzogen werden.
  • Das Stimmvolk trägt der Verantwortung der Regierungsbildung bei, weshalb diese dann näher am Volk ist.
  • Weniger Parteidominanz – Es wäre auch für Personen aus kleineren Parteien bzw. gar keinen Parteien besser möglich, in die Regierung zu kommen.
  • Mehr Distanz zwischen Landtag und Regierung führt zu mehr volksnaher Sachpolitik.

Und was spricht dagegen (NEIN-Argumente)?

  • Heutiges System funktioniert und ist erprobt – Auswirkungen der Initiative können nicht abschliessend eingeschätzt werden.
  • Ein bewährtes System soll nicht ohne Not aufs Spiel gesetzt werden.
  • Wird eine Person vom Volk in die Regierung gewählt, die jedoch innerhalb der Regierung und auch im Landtag keinen Rückhalt (von einer Partei) hat, könnte das die Produktivität der Arbeit beeinflussen, da eine Einzelperson nie eine Mehrheit für ihre Anliegen finden würde.
  • Der Einbezug des Volkes bei der Regierungswahl ist heute bereits gegeben – Die vorgeschlagenen Regierungsmitglieder werden genug früh kommuniziert, ausserdem werden sie von den Parteien nach klaren Kriterien, die der Partei entsprechen, gesucht.
  • Ein vom Volk direkt bestimmter Regierungschef bzw. eine Regierungschefin wäre ein neuer, starker Machtfaktor gegenüber dem Landtag und dem Fürsten, deren Position deshalb geschwächt werden würde.
  • Die Ablehnung eines Kandidaten durch den Landtag ist zwar möglich, aber nur über eine hohe Hürde – Lehnt der Landesfürst einen Kandidaten ab, so könnte es zu einem Konflikt zwischen Volk und Fürstenhaus kommen.
  • Gefahr politischer Blockaden und vorgezogenen Neuwahlen – Landtag und Regierung würden nicht mehr zwingend übereinstimmen, was zu Konflikten führen kann.
  • Viele ungeklärte Fragen – Zahlreiche Details können erst nach Annahme der Initiative festgelegt werden.
  • Die Regierung könnte bunt zusammengewürfelt sein oder auch aus einer einzigen Partei bestehen.
  • Es ist davon auszugehen, dass es schwerer wird, Kandidaten für die Wahl zu finden, da für sie doch sehr viel auf dem Spiel steht und auch der Wahlkampf wahrscheinlich persönlicher und härter geführt werden würde.
  • Die Initiative bringt Möglichkeit, dass Personen mit radikalen Einstellungen in die Regierung gewählt würden. Ob es dann die Aufgabe des Landtags ist, den Volkswillen zum Wohle des Landes zu ignorieren, ist nicht geregelt.
Hier geht’s zur Diskussionssendung mit Befürwortern und Gegnern der Initiative.

Mein persönliches Fazit

Ich denke, letztendlich ist es, wie der Erfinder der Initiative sagt, ein „Experiment“. Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“, was die Angelegenheit natürlich noch schwieriger macht. Die Frage ist, ob das Liechtensteiner Volk bereit ist, seine politische Stabilität aufs Spiel zu setzen, um daraus vielleicht einen Mehrwert für das Volk zu gewinnen. Es geht um die Zukunft unseres Landes und die Veränderungen bei einer Annahme der Initiative wären einschneidend, deshalb ist es wichtig, dass jeder Stimmbürger und jede Stimmbürgerin sich für seine Meinung, egal welche, einsetzt und wenn es so weit ist, auch wählen geht.

Quellen

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Severin

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